Einführung des § 15b InsO: Neue Maßstäbe für die Geschäftsleiterhaftung (?)

Von Kenza Thos 13. August 2025 10 Minuten
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I. Hintergrund der Neuregelung

Bis Ende 2020 regelten die spezialgesetzlichen Vorschriften der § 64 GmbHG, § 92 AktG sowie § 130a i.V.m. § 170 HGB die Haftung von Geschäftsleitern für Zahlungen, die diese nach Eintritt der Insolvenzreife noch vornahmen. Mit Inkrafttreten des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG) am 01.01.2021 wurde die Geschäftsleiterhaftung bei insolvenzreifen Unternehmen auf neue gesetzliche Grundlagen gestellt. Zentral ist hierbei der neu eingeführte § 15b InsO, der die bis dahin geltenden Spezialnormen der § 64 GmbHG, § 92 AktG und § 130a HGB i.V.m. § 170 HGB ersetzt hat. Ziel des Gesetzgebers ist es gewesen, eine einheitliche, rechtsformunabhängige Haftungsnorm für (unzulässige) Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife zu schaffen. Mit dieser neuen Haftungsnorm § 15b InsO befasst sich dieser Blog-Beitrag.

Da die Praxis sich überwiegend mit der Haftung von GmbH-Geschäftsführern beschäftigt und auch die (höchstrichterliche) Rechtsprechung meist über Fälle des § 64 GmbHG zu entscheiden hatte, nehmen wir in diesem Beitrag stets Bezug auf die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH nach § 64 GmbHG, obwohl auch der Vorstand einer Aktiengesellschaft (hier fand sich die Haftungsregelung bislang in § 92 AktG) und der Geschäftsführer der Komplementär-Gesellschaft einer GmbH & Co. KG (hier wurde die Haftung bislang auf § 130a HGB i.V.m. § 170 HGB gestützt) von der Neuregelung betroffen sind.

 

II. Was regelt § 15b InsO?

Die zentrale Haftungsnorm regelt, unter welchen Voraussetzungen Zahlungen, die der Geschäftsleiter nach Eintritt der Insolvenzreife noch vornimmt oder vornehmen lässt, zulässig sind oder ob diese eine persönliche Haftung des Geschäftsleiters begründen. Dabei ist der Begriff der “Zahlung” weit gefasst: Nicht nur Geldleistungen, sondern jede Vermögensminderung fällt darunter.

15b InsO differenziert nunmehr erstmals ausdrücklich zwischen erlaubten und verbotenen Zahlungen – eine solche Unterscheidung findet sich in der alten Haftungsnorm § 64 GmbHG nicht:

Nach § 15 Abs. Abs 1 Satz 2 InsO sind Zahlungen nur dann erlaubt, wenn sie mit der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.

Dies wird in den Absätzen 2 und 3 des § 15b InsO weiter konkretisiert. So soll sich die Beurteilung, ob eine Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar ist oder nicht, danach bemessen, ob die jeweilige Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgte, insbesondere, weil sie zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erforderlich gewesen ist. Durch die Neuregelung § 15b Abs. 2 S. 3 InsO soll der Geschäftsführer mehr Rechtssicherheit erhalten, da nunmehr alle Zahlungen, die mit Zustimmung des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen werden, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (gesetzliche Vermutung). Eine Prüfung, ob Zahlung „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ erfolgte, entfällt also im Eröffnungsverfahren und führt zu einer Verschiebung der Haftung vom Geschäftsleiter auf den vorläufigen Insolvenzverwalter.

 

III. Karenzzeit und privilegierte Zahlungen

In der Praxis besonders bedeutsam ist die sogenannte Karenzzeit – also die Zeit, die dem Geschäftsführer ab Feststellung der Insolvenzreife (Zahlungsunfäühigketi oder Überschuldung) noch verbleibt, bis er Insolvenzantrag stellen muss. Diese Karenzzeit beträgt gemäß § 15a InsO maximal drei Wochen bei Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen bei Überschuldung.

Innerhalb dieser Karenzzeit sind Zahlungen nach § 15b Abs. 2 InsO dann mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie erfolgen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang,
  • sie dienen insbesondere der Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebs, und
  • der Geschäftsleiter nutzt die Karenzzeit aktiv, um entweder die Insolvenzreife zu beseitigen oder den Insolvenzantrag vorzubereiten.

Diese Regelung stellt eine bedeutende Privilegierung dar. Die Intention des Gesetzgebers ist es, die Anforderungen an die Pflichten eines ordnungsgemäß handelnden Geschäftsleiters nicht zu überspannen.

Die Beurteilung, ob eine Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar ist oder nicht, bemisst sich danach, ob die jeweilige Zahlung aus ex-ante-Sicht im Gläubigerinteresse liegt, weil die damit verbundenen Vorteile für die Masse die Nachteile überwiegen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn durch die Zahlung Nachteile für die Insolvenzmasse vermieden werden können, beispielsweise durch Zahlungen zur Sicherung von Massegegenständen vor Verderb, Beschädigung oder Diebstahl. Der Gesetzesbegründung zum RegE SanInsFoG (BT-Drs. 19/24181, S. 194) ist außerdem zu entnehmen, dass nun – in Abweichung zur bisherigen BGH-Rechtsprechung – Zahlungen auf Dienstleistungen erlaubt sein sollen, wobei dies dem Gesetzeslaut des § 15b InsO selbst nicht zu entnehmen ist. Unklar ist in dem Zusammenhang, ob auch Zahlungen auf Arbeitsleistungen (Löhne/Gehälter) erlaubt sind (nach der BGH-Rechtsprechung zu § 64 GmbHG waren sie grundsätzlich verboten).

Entscheidend ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung: Maßstab ist dabei stets das Gläubigerinteresse. Zahlungen, die aus ex-ante-Sicht geeignet sind, den Schaden für die Masse zu verringern oder größere Nachteile abzuwenden, werden regelmäßig als privilegiert gelten, sofern die Antragshöchstfrist gemäß § 15b InsO noch nicht abgelaufen ist.

Zahlungen, die der Geschäftsleiter nach Ablauf der Karenzzeit gelten hingegen nach § 15b Absatz 3 InsO grundsätzlich als verboten. Insofern stellt Abs. 3 klar, dass nach Ablauf der Karenzzeit, Zahlungen nur noch im Ausnahmefall erlaubt sein können. Bloß vage Hoffnungen des Geschäftsleiters sind jedoch ebenso wenig privilegiert wie ein schlichtes „Weiterwurschteln“.

In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des BGH (Nicht-)Haftung des Geschäftsführers bei Zahlung rückständiger Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt und rückständiger Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nach Eintritt der Insolvenzreife sollen diese Zahlungen nunmehr keine solcher Ausnahmefälle darstellen und verbotswidrig sein. Die Vorschrift enthält damit eine deutlich schärfere Haftungsgrundlage als der frühere § 64 GmbHG und möchte den Druck auf die Geschäftsleitung erhöhen, sodas diese gehalten sind, rechtzeitig den Insolvenzantrag zu stellen.

In § 15b Abs. 8 InsO ist außerdem nunmehr geregelt worden, dass der Geschäftsleiter seinen steuerrechtlichen Zahlungspflichten (aus §§ 34, 69 AO) für den Zeitraum zwischen Eintritt der Insolvenzreife bzw. Insolvenzantragstellung und Verfahrenseröffnung jetzt nicht mehr nachkommen muss, sofern er seine Antragspflicht i.S.d. § 15a InsO erfüllt hat. Somit ist der Geschäftsführer hinsichtlich der Steuerzahlungen keiner Pflichtenkollision ausgesetzt. Ob diese Vorschrift analog anwendbar ist auf die Arbeiteranteile zur Sozialversicherung – die beiden Sachverhalte sind in der Rechtsprechung bisher gleich gehandhabt worden – hierüber ist bislang nur erstinstanzlich entschieden worden. Nach Auffassung des Amtsgerichts Ludwigshafen gemäß Beschluss vom 12.12.2022 (Az. 3a IN 389/22) soll § 15 Abs. 8 InsO nicht analog für die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung gelten.

 

IV. Haftung, Beweislast und Schadensumfang

Verstößt der Geschäftsleiter gegen das Zahlungsverbots, ist er gegenüber der Gesellschaft zum Ersatz verpflichtet (§ 15b Abs. 4 InsO). Während der Insolvenzverwalter die Darlegungs und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der Insolvenzreife trägt, hat der Geschäftsleiter, der sich der Haftung entziehen möchte, den Nachweis zu erbringen, dass die Zahlung mit der nötigen Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar war. Dies ist nach Ablauf der Karenzzeit grundsätzlich nicht mehr gegeben. Der Geschäftsleiter kann außerdem nachweisen, dass tatsächlich kein Schaden eingetreten ist oder der tatsächliche Schaden ein geringerer ist. Anders als unter § 64 GmbHG erfolgt damit nun eine Gesamtbetrachtung des Gläubigerschadens – eine wichtige Neuerung.

 

V. Fazit

Der Gesetzgeber hat zum einen einige Unklarheiten zu verbotenen Zahlungen durch die Konkretisierung in Abs. 2 und 3 beseitigt. Auf der anderen Seite ergeben sich aus der neuen Regelung neue Fragen, gerade in Bezug auf die Anforderungen an den Nachweis des Gesamtschadens nach § 15 Abs. 4 InsO. Erfreulich ist, dass der Gesetzgeber nun zwischen dem pflichtgemäß handelnden Geschäftsführer und dem insolvenzverschleppenden Geschäftsführer unterscheidet. Außerdem hat die Gesetzgeber mit § 15b Abs. 8 InsO nunmehr die bisher bestehende Pflichtenkollision für Steuerverbindlichkeiten gelöst. Das Masseerhaltungsgebot steht jetzt über dem steuerrechtlichem Abführungsgebot.

Für den Insolvenzverschlepper dürfte es nunmehr schwierig werden, die persönliche Haftung abzuwenden. Welche Zahlungen der Insolvenzverschlepper trotz eingetretener Insolvenzreife gegebenenfalls noch hätte vornehmen dürfen und wann genau eine Zahlung als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar gilt, wird von der Rechtsprechung noch zu entwickeln sein. Klar ist, dass der Gesetzgeber mit Einführung des § 15b InsO bewusst die Haftungssituation verschärft hat und die Drucksituation nutzt, um die Geschäftsleiter zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung zu bewegen.