Die handelsrechtliche Fortführungsprognose (going concern) § 252 HGB

Von Dr. Andreas Pink, Andreas Kemmerling 24. June 2025 10 min. Lesezeit
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A. BEDEUTUNG UND DEFINITION

Die Beurteilung der handelsrechtlichen Fortführungsprognose (going concern) bei der Erstellung oder Prüfung des Jahresabschlusses hat erhebliche Auswirkungen auf den Fortbestand des Unternehmens in Krisensituationen. Ist die Fortführungsprognose negativ, müssen die Organe den Jahresabschluss unter Abkehr von going concern zu Liquidationswerten aufstellen. Das führt in der Regel sofort zu Kreditkündigungen wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse durch die Banken und zu einer insolvenzrechtlichen Überschuldung (§ 19 InsO).

Die handelsrechtliche Fortführungsprognose ist in § 252 Abs. 2 Nr. 2 HGB geregelt. Sie besagt, dass bei der Bewertung der Vermögensgegenstände und Schulden von der Fortführung des Unternehmens auszugehen ist, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen.

Aber was genau ist die handelsrechtliche Fortführungsprognose, welche Voraussetzungen müssen für eine positive Fortführungsprognose vorliegen und wie hängt sie mit der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldung zusammen?

B. GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND RECHTSPRECHUNG

Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der handelsrechtlichen Fortführungsprognose (§ 252 HGB) und der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose (§ 19 InsO). In der Praxis werden die beiden Prognosen oftmals verwechselt und nicht klar abgegrenzt.

252 Abs. 1 Nr. 2 HGB: Das „Going-Concern-Prinzip“ besagt, dass bei der Erstellung des Jahresabschlusses davon ausgegangen wird, dass das Unternehmen auch in Zukunft fortgeführt wird, soweit dem nicht rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten entgegenstehen. Wenn diese Annahme nicht zutrifft, muss der Jahresabschluss unter Liquidationswerten erstellt werden. Die Vorschrift ist sozusagen die Grundnorm bei der Erstellung des Jahresabschlusses.

Diese Grundregel ist dann positiv, wenn das Unternehmen in der Vergangenheit nachhaltig Gewinne erzielt hat, leicht auf finanzielle Mittel zurückgreifen kann und keine bilanzielle Überschuldung droht (vgl. IDW PS 270 Rz. 4). Liegen diese “Schönwetterkriterien” vor ist das Unternehmen jederzeit in der Lage seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen und es bedarf keiner weiteren Analysen.

Liegt dagegen eine Insolvenzgefährdung vor, besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass sich das Unternehmen fortführen lässt. Die going concern Prognose ist in der Regel negativ. Der BGH hat das Regel-Ausnahme Verhältnis bestätigt und aufgezeigt, dass bei Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes (rechtliche Gegebenheit) keine Bilanzierung zu Fortführungswerten erfolgen kann, wenn im Prognosezeitraum damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen

  • noch vor dem Insolvenzantrag
  • im Eröffnungsverfahren oder
  • alsbald nach Insolvenzeröffnung

stillgelegt wird (BGH v. 26.1.2017, IX ZR 285/14).

Auch vorliegende tatsächliche Gegebenheiten können zur Abkehr vom  „Going-Concern-Prinzip“ führen. Hierunter fällt z.B. ein gefasster Liquidationsbeschluss, hohe Schadenersatzforderungen aus verlorenen Prozessen etc. Das IDW hat hierzu in PS 270 Rz. 39 A 5 einen Prüfungskatalog erstellt, der die Umstände beschreibt.

Die Fortführungsprognose ist somit eine Einschätzung, ob ein Unternehmen in der Lage ist, seine Geschäfte über einen Zeitraum von 12 Monaten fortzusetzen. Die Literatur geht von einem Zwölf-Monats-Zeitraum ab dem Tag der Bilanzerstellung aus.

Überschuldung (§ 19 InsO): Ein Unternehmen gilt als überschuldet, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Eine positive Fortführungsprognose führt somit zur Abwendung der rechtlichen Überschuldung.

Die Fortbestehensprognose ist letztendlich eine Zahlungsfähigkeitsprognose über einen Zeitraum von 12 Monaten ab dem Tag der Prüfung gerechnet. Ist das Unternehmen planerisch in der Lage, seine fälligen Verbindlichkeiten die nächsten 12 Monate fristgerecht zu begleichen, ist die Prognose positiv und es liegt keine Überschuldung vor.

C. HAFTUNG DER VERANTWORTLICHEN ORGANE

Bei Nichtbeachtung der gesetzlichen Pflichten im Rahmen der Fortführungsprognose und Fortbestehensprognose droht den gesetzlichen Vertretern eines Unternehmens die Haftung. Diese Pflichten umfassen:

  1. Sorgfaltspflicht: Gemäß § 43 GmbHG und § 93 AktG sind die Geschäftsführer bzw. Vorstände verpflichtet, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Dies schließt die Pflicht ein, regelmäßig die finanzielle Lage des Unternehmens zu überprüfen und eine Fortführungsprognose zu erstellen, wenn Anzeichen einer Krise bestehen.
  2. Prüfungspflicht bei Insolvenzreife: Nach § 15a InsO müssen die gesetzlichen Vertreter unverzüglich, spätestens jedoch drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzantrag stellen. Eine Fortführungsprognose ist dabei ein wesentliches Instrument, um die Insolvenzreife zu beurteilen.
  3. Haftung: Bei Verletzung dieser Pflichten haften die gesetzlichen Vertreter persönlich für entstandene Schäden. Der BGH hat in mehreren Urteilen (z.B. BGH, vom 04.07.2017 - II ZR 319/15) betont, dass eine unzureichende oder verspätete Erstellung einer Fortführungsprognose eine Pflichtverletzung darstellt, die zu einer persönlichen Haftung der Geschäftsführung führen kann.

 

D. ERSTELLUNG EINER FORTFÜHRUNGSPROGNOSE

Die Erstellung einer Fortführungsprognose in Krisenzeiten ist eine umfangreiche und haftungsträchtige Aufgabe. Sie sollte einem Sachverständigen, z.B. Wirtschaftsprüfer/Steuerberater mit Krisenerfahrung überlassen werden.

Der Wirtschaftsprüfer/Steuerberater hat eine integrierte Unternehmensplanung bestehend aus G+V Planung, Bilanzplanung und Liquiditätsplanung über einen Zeitraum von 12 Monaten besser 18 Monaten aufzustellen. Hierzu ist das Unternehmen genau zu analysieren und die Marktentwicklung, Produkte, Ressourcen, Management etc. sind einzuschätzen. Gegebenenfalls ist ein Sanierungskonzept nach IDW S 6 zu erstellen. Zeigt die Planung, dass das Unternehmen durchfinanziert ist, also alle Verbindlichkeiten im Prognosezeitraum beglichen werden können, ist die Prognose positiv, andernfalls ist sie negativ und es sind unverzüglich Sanierungsmaßnahmen einzuleiten ggf. Insolvenzgründe zu beseitigen.

E. FAZIT

Die handelsrechtliche Fortführungsprognose ist ein wichtiger Baustein bei der Erstellung des Jahresabschlusses. Sie zeigt die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Sie hilft, das Vertrauen von Investoren und Gläubigern zu sichern, rechtliche Anforderungen zu erfüllen und die Geschäftsführung zu unterstützen. Besonders in Zeiten finanzieller Unsicherheit ist die Ableitung einer Fortführungsprognose schwierig. Die gesetzlichen Vertreter haben dabei eine erhebliche Verantwortung und müssen sicherstellen, dass die Prognose sorgfältig und regelmäßig aktualisiert wird, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

 

Wir verfügen im Bereich der Erstellung von Fortführungsprognosen über eine breite Expertise. Sprechen Sie uns gerne hierzu an.