Berücksichtigung von Unterwegsgeld (Cash in Transit) bei der Ermittlung der Insolvenzreife

Von Nils Werheit 21. May 2025 10 min. Lesezeit
NW.PNG

In Zeiten digitaler Zahlungsmethoden kommt Bargeld zunehmend aus der Mode, Bargeldzahlungen sind rückläufig. Dennoch gibt es Branchen, z.B. Gastronomie und Einzelhandel, in denen Bareinnahmen weiterhin zum Alltag gehören. 2023 wurden in Deutschland rund 35,5 % der Zahlungen im Einzelhandel mit Bargeld getätigt (www.statista.com).

Die täglichen Bargeldeinnahmen werden oftmals nicht selbst zur Bank gebracht, sondern in einem regelmäßigen Turnus von Geldtransportunternehmen abgeholt und bei der Bundesbank eingezahlt. Doch was passiert in dieser Zeit mit diesem Geld – rechtlich und bilanziell?

Genau diese Frage stellt sich im Rahmen der Zahlungsunfähigkeitsprüfung. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt Zahlungsunfähigkeit und nicht nur bloße Zahlungsstockung in der Regel vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen innerhalb eines Zeitraumes von drei Wochen auszugleichen (BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04). Den fälligen Schulden sind die stichtagsbezogen vorhandenen Geldmittel gegenüberzustellen.

Auch bei der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose im Rahmen einer Überschuldungsrprüfung gemäß § 19 InsO ist die richtige Einordnung von Unterwegsgeld von Bedeutung. Hier geht es um die Einschätzung, ob ein Unternehmen im Prognosezeitraum in der Lage sein wird, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen bedienen zu können (Zahlungsfähigkeitsprognose). Diese Einschätzung muss auf Grundlage einer validen Liquiditätsplanung erfolgen.

Entscheidend ist hierbei die „verfügbare Geldliquidität“, also ob liquide Mittel (Barmittel, Bankguthaben und/oder nicht ausgeschöpfte Kreditrahmen) am Stichtag tatsächlich oder planerisch zur Verfügung stehen.

I. Die Grauzone: Was sagt das Gesetz?

Weder Gesetz noch höchstrichterliche Rechtsprechung oder Standardkommentare befassen sich explizit mit dem Thema „Unterwegsgeld“. Auch die Fachliteratur schweigt. Doch gerade das macht dieses Thema so spannend: Denn als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sind wir gefordert, unseren Mandanten hier mit fundierter Argumentation, Orientierung zu geben.

II. Was ist Unterwegsgeld eigentlich?

Nehmen wir ein Beispiel: Die „Gastro GmbH“ lässt ihre täglichen Bargeldeinnahmen regelmäßig (zweimal pro Woche) durch ein Geldtransportunternehmen abholen. Diese Safebags werden bei einer Bank (i.d.R. örtlichen Bundesbank-Filiale) eingeworfen und werden - mit zeitlichem Versatz - erst mehrere Tage später auf dem Geschäftskonto der Gastro GmbH gutgeschrieben.

Die Gastro GmbH befindet sich in finanziellen Schwierigkeiten, das Vorliegen von Insolvenzgründen ist auszuschließen. Die Frage lautet nun: Zählen diese unterwegs befindlichen Gelder zum „Cash-Bestand“ der Gastro GmbH, also ihren verfügbaren liquiden Mitteln?

Unsere Beurteilung: Unterwegsgeld ist keine verfügbare Liquidität

Während das Geld physisch unterwegs ist – also ab der Übergabe an das Geldtransportunternehmen bis zur Gutschrift auf dem Geschäftskonto – steht es der Gastro GmbH nicht zur Verfügung, um fällige Verbindlichkeiten zu begleichen. Es befindet sich stichtagsbezogen (in diesem Zeitraum) weder in der Kasse (dann wären es Barmittel) noch auf dem Geschäftskonto (dann wäre es insb. Bankguthaben) und kann daher nicht zur Begleichung fälliger Verbindlichkeiten eingesetzt werden. Es kann somit nicht im Finanzstatus bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung als liquide Mittel am Stichtag berücksichtigt werden, sondern erst wenn das Geld dem Bankkonto gutgeschrieben wurde.  Auch bei der Fortbestehensprognose kann das Unterwegegeld erst in der Finanzplanung berücksichtigt werden, wenn es dem Konto gutgeschrieben wurde.

Diese Einschätzung stützt sich auch auf die Definitionen aus dem Standard des IDW S 11 zur Prüfung der Zahlungsunfähigkeit: Dort gelten als liquide Mittel nur Barmittel, Bankguthaben, Schecks und freie Kreditlinien. Unterwegsgeld fällt nicht darunter – es ist in diesem Zeitraum rechtlich als Herausgabeanspruch gegen das Transportunternehmen zu qualifizieren somit eine Forderung. Forderungen gehören jedoch nicht zu der verfügbaren Geldliquidität.

III. Handelsrechtliche/bilanzielle Einordnung bietet zusätzliche Argumentationshilfe

Auch handelsrechtlich (vgl. § 266 HGB) zählen zu den liquiden Mitteln ausschließlich solche Vermögenswerte, die unmittelbar verfügbar und als Zahlungsmittel einsetzbar sind. In der handelsrechtlichen Fachliteratur und Praxis wird diese Bilanzposition synonym als „Liquide Mittel“ oder „Flüssige Mittel“ bezeichnet. Dies sind Kassenbestände, inkl. Postwertzeichen, Guthaben auf Frankiergeräten, Steuer- und Beitragsmarken, Schecks, Guthaben bei Kreditinstituten, inklusive Bundes- und Postbankguthaben.

Unterwegsgeld erfüllt diese Kriterien nicht, auch wenn in der Fachliteratur vereinzelt die Definition – über den Gesetzeswortlaut des § 266 HGB hinaus - auf sog. „geldnahe oder geldgleiche Vermögensgegenstände“ ausgeweitet wird.

IV. Fazit

Bei einer insolvenzrechtlichen Zahlungsfähigkeitsprognose und -prüfung im Rahmen einer Zahlungsunfähigkeitsprüfung oder der Prüfung der Fortbestehenspropnose bei der Überschuldungsprüfung muss das Unterwegsgeld richtig eingeordnet werden, um etwaige Haftungsrisiken zu vermeiden. Unterwegsgeld – also Bareinnahmen, die sich auf dem Weg zur Bank befinden – steht dem Unternehmen in dieser Phase nicht zur Verfügung und ist daher (planerisch) nicht als liquide Mittel zu berücksichtigen. Erst nach Gutschrift auf dem Bankkonto kann das Geld berücksichtigt werden.

Diese Fragestellung zeigt exemplarisch, wie komplex und facettenreich insolvenzrechtliche Beurteilungen und Zahlungsfähigkeitsprognosen und -prüfungen in der Praxis sein können – und dass es für eine fundierte Bewertung mehr braucht als nur den Blick ins Gesetz. Als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft begleiten wir unsere Mandanten auch durch solche Graubereiche und können dabei auf ein breites Praxiswissen zurückgreifen.