1. Fortbestehen der Aufstellungs- und Prüfungspflicht
Die Insolvenzeröffnung ändert zunächst nichts an den handelsrechtlichen Pflichten zur Aufstellung des Jahresabschlusses. Nach § 242 HGB besteht weiterhin die Verpflichtung zur Erstellung eines Jahresabschlusses – unabhängig vom wirtschaftlichen Zustand des Unternehmens.
Auch die Pflicht zur Abschlussprüfung nach § 316 HGB bleibt bestehen, wenn das Unternehmen nach wie vor als mittelgroße oder große Kapitalgesellschaft nach § 267 HGB einzustufen ist. Die Größenmerkmale (Bilanzsumme, Umsatzerlöse, Arbeitnehmerzahl) beziehen sich dabei in der Regel auf die letzten vorliegenden Jahresabschlüsse. Solange keine Befreiung durch das Registergericht erfolgt, bleibt die Prüfung verpflichtend.
2. Non Going Concern Bilanzierung
Mit der Insolvenzeröffnung entfällt in der Regel die Fortführungsannahme („going concern“) nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Stattdessen ist nach dem Zerschlagungsprinzip zu bilanzieren. Das hat weitreichende Konsequenzen:
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- Vermögensgegenstände sind ggf. mit ihrem Liquidationswert anzusetzen,
- Rückstellungen können sich erhöhen, insbesondere bei drohenden Verlusten,
- Bewertungsspielräume werden enger, Transparenzanforderungen steigen.
Die Bilanzierung unter Non-Going-Concern-Bedingungen erfordert daher eine besondere Sorgfalt und Fachkenntnis – sowohl bei der Erstellung als auch bei der Prüfung.
Aber auch die Ausnahme von der Regel, wenn trotz der Insolvenzeröffnung weiterhin eine Fortführungsannahme bestehen sollte, benötigt besondere Fachkenntnisse, um die Fortführungsannahme valide prüfen zu können. Die Fortführungsannahme kann beispielsweise bestehen bleiben, wenn ein glaubhafter Fortführungsinsolvenzplan vorliegt oder eine übertragende Sanierung geplant ist (vgl. BGH-Urteil vom 26.01.2017 Az. IX ZR 285/14).
3. Rumpfgeschäftsjahr bei Insolvenzeröffnung
Wird im laufenden Geschäftsjahr das Insolvenzverfahren eröffnet, endet das bisherige Geschäftsjahr mit dem Tag vor der Verfahrenseröffnung. Es entsteht ein sogenanntes Rumpfgeschäftsjahr (§ 155 InsO). Daraus folgt:
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- Es sind zwei Jahresabschlüsse aufzustellen: Einer für das Rumpfgeschäftsjahr vor Insolvenzeröffnung, ein weiterer für die Zeit nach Eröffnung,
- Der Abschluss für das Rumpfgeschäftsjahr unterliegt weiterhin der Prüfungspflicht, sofern die Größenmerkmale erfüllt sind,
- Der nach Eröffnung aufgestellte Abschluss dient primär der Rechnungslegung im Insolvenzverfahren.
Dieser Bruch stellt Unternehmen und Prüfer vor organisatorische und inhaltliche Herausforderungen – insbesondere in Bezug auf Fristen, Zuständigkeiten und Dokumentation. Hierzu gehört u.a., dass die erste Bestellung eines Abschlussprüfers ab der Verfahrenseröffnung auf Antrag des Insolvenzverwalters durch das Registergericht erfolgt (vgl. §155 Abs. 2 InsO). Werden Folgeaufträge an diesen Abschlussprüfer vergeben, ist keine erneute Antragstellung beim Registergericht notwendig.
4. Bisheriger Abschlussprüfer
Gemäß § 155 Abs. 3 InsO ist der Abschlussprüfer, welcher für das Geschäftsjahr vor Insolvenzeröffnung bestellt wurde, Prüfer des Rumpfgeschäftsjahres, welches durch die Insolvenzeröffnung zwischen dem letzten regulären Stichtag und dem Tag vor der Insolvenzeröffnung entsteht. Sind vorhergehende Stichtage noch nicht geprüft, aber bereits ein Abschlussprüfer bestellt, bleibt diese Bestellung bestehen (vgl. BGH v. 08.05.2018 – II ZB 17/17).
5. Befreiungsmöglichkeiten durch das Registergericht
Eine Befreiung von der Prüfungspflicht kann unter bestimmten Voraussetzungen über das Registergericht beantragt werden). Dies setzt jedoch voraus:
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- Dass die Gesellschaft nur noch überschaubare wirtschaftliche Verhältnisse hat,
- dass der Insolvenzverwalter eine entsprechende Erklärung abgibt,
- und dass keine schutzwürdigen Interessen Dritter entgegenstehen.
In der Praxis ist diese Möglichkeit eng begrenzt. Das Gericht prüft sehr genau, ob die Voraussetzungen vorliegen. Eine pauschale Befreiung allein aufgrund der Insolvenz ist nicht vorgesehen. Überschaubare Verhältnisse der Gesellschaft können ein Anhaltspunkt sein, da beispielsweise bereits alle VG veräußert sind. Soll das Unternehmen fortgeführt werden, kann es in der Regel auch keine Befreiung von der Prüfungspflicht geben. Eine Befreiung für noch offene Altjahre ist ausgeschlossen.
6. Spezialisierte Prüfer erforderlich
Die Prüfung eines Unternehmens im Insolvenzverfahren stellt erhöhte Anforderungen an den Prüfer. Umfangreiches Fachwissen in Insolvenzrecht, Sanierungsbilanzen und Liquidationswerten ist notwendig. Die Bilanzierung zu Zerschlagungswerten bedeutet für den Prüfer oft die Beschäftigung mit Sondersachverhalten, wie der Bilanzierung von Anfechtungs- und Haftungansprüchen, den Kosten des Insolvenzverfahrens sowie erheblichen Bewertungsrisiken in nahezu allen Positionen. Weitere Besonderheiten:
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- Zusammenarbeit hauptsächlich mit Insolvenzverwalter statt Geschäftsführung,
- Erhöhtes Risiko der Fehlerhaftigkeit von Bewertungsansätzen,
- Höhere Anforderungen an Dokumentation und Urteilsbildung,
- Mitarbeiter und Auskunftspersonen sind im Unternehmen nicht oder nur noch zeitlich befristet greifbar,
- die Standard-Prozesse des Unternehmens werden nicht mehr gelebt, sind personell nicht mehr abgedeckt oder passen nicht mehr zu den aktuellen Notwendigkeiten.
Prüfungen in der Insolvenz sollten daher idealerweise von spezialisierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit entsprechender Erfahrung durchgeführt werden. Das erhöht die Qualität und minimiert Risiken für alle Beteiligten.
7. Nutzen der Jahresabschlussprüfung für Insolvenzverwalter, Gläubiger und Investoren
Neben der gesetzlichen Verpflichtung bringt die durchgeführte Jahresabschlussprüfung auch Vorteile für das Verfahren mit sich. Die geprüften Jahresabschlüsse zeigen für alle Gläubiger nochmal die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft auf. Insbesondere die intensive Betrachtung kritischer Bereiche, wie Bewertung des Aktivvermögens unter der Abkehr von going Concern, dem zusätzlichen Ansatz von Rückstellungen aufgrund von durch die Insolvenz bedingtem Personalabbau oder Verfahrenskosten ist fehleranfällig. Sollte ein Insolvenzplan angestrebt werden, ist die Abschlussprüfung umso wichtiger, damit nach Insolvenzabschluss für das neue Unternehmen geprüfte Eröffnungsbilanzwerte vorliegen. Nur dann sind aus buchhalterischer Sicht die optimalen Voraussetzungen für den neuen Start des Unternehmens geschaffen.
8. Fazit
Die Insolvenzeröffnung bedeutet keinen Automatismus zur Entbindung von handelsrechtlichen Abschlusserstellungs- und Prüfungspflichten. Solange die Größenkriterien erfüllt sind, bleiben die Erstellungs- und Prüfpflichten bestehen – teils sogar unter erschwerten Bedingungen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang:
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- Frühzeitige Klärung der Bilanzierung unter Non Going Concern,
- Organisation der Aufstellungspflicht trotz eingeschränkter Handlungsfähigkeit,
- Auswahl eines spezialisierten Prüfers für insolvenzrechtliche Besonderheiten.
Unser Fazit: Insolvenz ist kein Freifahrtschein für entfallende Prüfungspflichten. Im Gegenteil – sorgfältige Planung und erfahrene Begleitung sind wichtiger denn je.
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